18. November 1992 - Uraufführung des Rock-Oratoriums "Kevelaerer Kredo"

Ungewohnte Kost in der Basilika

Begeisterungsstürme bei der Uraufführung des "Kevelaerer Kredo"

Konzertplakat

Kevelaer. Verdichteter Glaube und konzentrierter Zweifel in einem Atemzug - auf diese Formel lassen sich die Essenz und der Zauber des modernen christlichen Poems "Kevelaerer Kredo" von dem ehemaligen Heinsberger Pfarrer Wilhelm Willms bringen. In der Kevelaerer Marienbasilika erlebten rund 600 Zuhörer die Vertonung dieses dichterischen Werkes.

Hans-Jörg Böckeler

"Auf Messers Schneide" hatte der Komponist und Dirigent Hans-Jörg Böckeler sein canticum novum untertitelt. Und hat damit gleich angedeutet, was er in seinem ganzen Werk konsequent verwirklichte. Die vielen spannungsreichen Brüche und Widersprüche in Willms' Dichtung griff der erfahrene Arrangeur für chorale Musik kreativ auf und setzte sie unmittelbar in Klang um. Für manchen Zuhörer war das Ergebnis von Böckelers Komposition ungewohnte Kost für die Ohren - sind doch die meisten eher an die harmonischen und widerspruchsfreien Klänge hergebrachter sakraler Musik gewöhnt. Und manch einer verließ auch die Basilika vorzeitig. Aber die Mehrheit der Zuhörer belohnte den Komponisten und seine Musiker und Sänger mit stehenden Ovationen; minutenlang applaudierte das Publikum und trampelte mit den Füßen um eine Zugabe - eine in einer Kirche selten gezeigte Begeisterung.

Wilhelm Willms

Gerührt und beeindruckt war auch der Autor der Vorlage, Wilhelm Willms. "Als hätte ich es selbst gemacht" - so schön fand er die Vertonung seines Werkes. Hans-Jörg Böckeler war ein wenig unglücklich mit der schwierigen Akustik in der großen Basilika. "Da mußten wir an verschiedenen Stellen Abstriche machen", sagte er. Aber Böckeler hatte aus seinem eigenen Tonstudio in Krefeld eine aufwendige Beschallungstechnik mitgebracht. Wie ein Co-Dirigent steuerte der Tontechniker am Mischpult die Klangfülle der Aufführung aus, so daß auch im hinteren Bereich der Basilika jeder auf seine Kosten kam.

Hans-Jörg Böckeler ist Kantor der Christkönigkirche in Duisburg. Er gründete und leitet den konfessions-unabhängigen Krefelder Dionysius-Chor. Bei der Aufführung wirkten außerdem der Chor und Jugendchor der Christkönigkirche Duisburg mit sowie der Kevelaerer Theodosius-Chor. Chöre und Solisten präsentierten sich ausgesprochen diszipliniert. Trotz der zahlreichen sprunghaften rhythmischen Übergänge blieb die Instrumentalgruppe mit Keyboards, Bläsern und Schlagzeug souverän. In die Herzen der Zuhörer sangen sich besonders Michael Schürmann (Baß) und Christiane Böckeler (Sopran).

Warum Kevelaerer Kredo? - dies fragte am Anfang der Aufführung eine Stimme, die wie aus weiter Ferne durch die Basilika schallte, unterbrochen vom Gesang des Theodosius-Chores. Die Poetik eines Glaubensbekenntnisses sei mit der Poetik einer Gnadenkapelle zu vergleichen, so sprach sie. Ein Kredo sei wie ein Schneckenhaus, in das die Pilger und Fremdlinge von weither hinein- und herauskriechen können. "Ein Kredo ist eine Gnadenwortkapelle - uralt und doch immer neu. Georteter Glaube immer neu angefüllt mit Angst und Verzweiflungsschweiß, angefüllt auch mit den Perlenketten des Dankes, mit den goldenen Herzen der Liebeserfahrung."

Wilhelm Willms' Worte sind nicht "nur" als Dichtung von besonderer Brisanz. Sie drücken mit der Sensibilität des Gläubigen etwas aus, was man vielleicht als weltliche Ansiedlung von christlichem Gedankengut bezeichnen könnte. Willms schuf mit seinem Kevelaerer Kredo besonders für die junge Generation einen neuen Zugang zum christlichen Glaubensbekenntnis. Durch die Vertonung seines Werkes wird die Botschaft hörbar, verstehbarer und vermittelbarer. Ob im Widerstreit der Chöre, im Dialog der Solostimmen oder in der Vielfalt der rhythmischen Eindrücke - überall kommt das Zweischneidige, das "Auf-der-Kippe-Stehen", der beherzte Zweifel hier und der angstvolle Glaube dort nicht nur zu Wort, sondern zu Klang. Böckeler sieht ab von der nur intellektuellen Vermittlung der "Gnadenwortkapelle" Glaubensbekenntnis. Er nimmt den ganzen Menschen aufs Korn.

Klaudia Dirmeier

(aus: "Kirche und Leben", Münster, vom 6.12.92)