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Himmel und Erde
Vatikan in Nöten

VON: CHRISTOF BECKMANN



Im Vorgang um die versuchte Wiedereingliederung konservativer Gruppen in die Katholische Kirche ist fast so ziemlich alles aus dem Leim geraten: Papst und Kirche sehen sich in die Nähe von Holocaust-Leugnern gestellt, öffentliche Erklärungen werden verlangt: Erzbischof Hyppolite Simon, Erzbischof von Clermont von der Bischofskonferenz des Landes, brachte es so auf den Punkt: Er wisse nicht, ob er cholerisch werden oder traurig sein solle, wohl eigentlich beides. Und sagte in der Zeitung „La Croix“: „Mais trop, c’est trop, alors je dis: ça suffit !” – Auf Deutsch: „Jetzt reicht´s langsam!“

Zum Zitat des französischen Erzbischofs: s. DIE TAGESPOST, http://www.die-tagespost.de/2008/index.php?option=com_content&task=view&id=100045801&Itemid=1

Stichwort Traditionalisten
Traditionalisten sind Anhänger der katholischen Kirche, die sich gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wenden. Zu unterscheiden ist zwischen Gruppierungen, die sich im kämpferischen Widerspruch zur nachkonziliaren Kirche sehen, und denen, die zwar traditionalistisch denken, aber mit Rom verbunden bleiben wollen.
Am bekanntesten ist die Gemeinschaft, die um den 1988 exkommunizierten Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) entstand. Dieser hatte 1976 gegen ein päpstliches Verbot Priester geweiht und damit die «Priesterbruderschaft Pius X.» innerkirchlich isoliert. Die dadurch ausgelöste Auseinandersetzung erreichte 1988 mit der Weihe von vier eigenen Bischöfen und der Exkommunikation der Beteiligten ihren Höhepunkt. Papst Benedikt XVI. hob diese Exkommunikation am 21. Januar 2009 auf.
Der Protest der Lefebvre-Anhänger richtet sich vordergründig gegen die Liturgiereform des Konzils. Im Kern lehnen sie aber das erneuerte Kirchenverständnis, die Ökumene und die Religionsfreiheit ab. Insgesamt werfen sie der römisch-katholischen Kirche vor, mit den Konzilsbeschlüssen die Tradition der Kirche zu zerstören. Sie tun dies aber in subjektiver Treue zum Papst in Rom, für den sie auch in ihren Messen beten.
Konzilskritisch und objektiv papsttreu ist eine zweite Strömung der Traditionalisten. Dazu gehört die Priesterbruderschaft Sankt Petrus, die 1988 auf Initiative von Papst Johannes Paul II. gegründet wurde. Sie soll traditionalistische Katholiken in die Kirche integrieren. Weitere Vertreter dieser Strömung sind die Una-Voce-Bewegung, die Katholische Pfadfinderschaft Europas, oder die Abtei «Le Barroux» in Südfrankreich. Neben diesen beiden Hauptströmungen gibt es am ultrakonservativen Rand weitere kleine Rebellen-Gruppen, die mit ihrer Kritik noch weiter gehen als die Pius-Bruderschaft. Dazu zählen die «Sedisvakantisten», die alle Päpste nach Pius XII. (1939-1958) für modernistische Häretiker halten und daher den Stuhl Petri seit 1958 als unbesetzt (vakant) ansehen.
(KNA)

 

Die wichtigsten Stationen des Konflikts

1962-1965: In Rom tagt das Zweite Vatikanische Konzil, das im Sinne von Papst Johannes XXIII. und Paul VI. eine Öffnung der Kirche gegenüber der Welt vollzieht. Konservative Kreise stehen den Reformen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auf Kritik stoßen unter anderem die ökumenischen Initiativen, die Erklärung zur Religionsfreiheit sowie Neuerungen in der Liturgie, etwa die Einführung der Muttersprache anstelle des Lateins.
1968-1970: Aus Protest gegen den «modernistischen» Kurs der Kirche tritt der Konzilsteilnehmer und ehemalige Erzbischof von Dakar, Marcel Lefebvre, als Ordensoberer der «Väter vom Heiligen Geist» (Spiritaner) zurück. Im folgenden Jahr gründet er im schweizerischen Fribourg die «Confraternitas Pius X». Die Priesterbruderschaft wird am 1. November 1970 kirchlich anerkannt. In den Folgejahren tritt der antikonziliare Charakter des nach Econe im Kanton Wallis umgezogenen «Seminars des wahren Glaubens» offen zu Tage. Die Lefebvrianer werfen der römisch-katholischen Kirche vor, mit dem Konzil die Tradition der Kirche zerstört zu haben.
1975: Rom entzieht der Gemeinschaft die kirchenrechtliche Legitimation. Im Jahr darauf enthebt Papst Paul VI. Lefebvre seiner bischöflichen Rechte. Der suspendierte Erzbischof akzeptiert dies nicht und nimmt weiter Priesterweihen vor.
1984: Papst Johannes Paul II. gestattet unter bestimmten Bedingungen die Wiederverwendung der 1962 unter Johannes XXIII. maßgeblich abgewandelten «tridentinischen» Messe nach dem letzten vorkonziliaren Messbuch. Dies werten Beobachter als Entgegenkommen gegenüber den Lefebvrianern.
1988: Am 30. Juni weiht Lefebvre gegen päpstliches Verbot vier Priester seiner Bruderschaft zu Bischöfen. Da diese Weihen aber gegen den ausdrücklichen Willen des Papstes erfolgen, ziehen sich Lefebvre und die von ihm Geweihten unmittelbar durch dieses Vergehen die Tatstrafe der Exkommunikation zu (excommunicatio latae sententiae), mithin den Ausschluss aus der aktiven kirchlichen Gemeinschaft, was wegen der Schwere des Vergehens im Motu proprio „Ecclesia Dei“ von Papst Johannes Paul II. am 2. Juli 1988 nochmals bekräftigt wird. Kurz zuvor war Lefebvre noch zum Einlenken bereit gewesen: Er unterzeichnete eine mit Kardinal Ratzinger ausgehandelte Übereinkunft, die er jedoch später zurückzog. Die Lefebvrianer betrachten die am 1. Juli ausgesprochene Exkommunikation als unwirksam und sehen sich weiterhin als Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. Sie sehen ihre Mission darin, die Kirche in Liturgie und Lehre auf den rechten Weg zurückzubringen. Der Papst gründet die Kommission «Ecclesia Dei» für den Dialog mit den Traditionalisten. Noch im selben Jahr wird ein Teil der Traditionalisten als «Priesterbruderschaft Sankt Petrus» wieder in die katholische Kirche integriert. Diese hatte der Vatikan gegründet, um traditionalistischen Katholiken eine Heimat zu bieten. Die Priester der Petrus-Bruderschaft erhalten die Sondererlaubnis, die Messe im 1962 modifizierten «tridentinischen» Ritus zu feiern.
1991: Tod Lefebvres (25. März). Sein Nachfolger als Generaloberer der Priesterbruderschaft wird der von ihm geweihte Schweizer Bischof Bernard Fellay, den Beobachter für eher dialogbereit halten.
2000: Anfang August ziehen rund 5.000 Anhänger der Priesterbruderschaft unter der Führung Fellays durch die Heilige Pforte in den Petersdom ein. Die Aufsehen erregende Pilgerfahrt im Heiligen Jahr ist unbestätigten Berichten zufolge mit dem Vatikan abgestimmt.
2002: Im brasilianischen Campos dos Goytacazes wird eine Gruppe von rund 28.000 Lefebvre-Anhängern mit 26 Priestern wieder in die Kirche aufgenommen. Deren Bischof wird Administrator einer neu geschaffenen Apostolischen Administration und unmittelbar dem Heiligen Stuhl unterstellt.
2005: Fellay begrüßt die Papstwahl des vormaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als «Hoffnungsschimmer». Dieser habe einige Aspekte der gegenwärtigen Kirchenkrise benannt. Ende August empfängt Benedikt XVI. Fellay in Privataudienz. Bei dem Treffen zeigte sich laut Vatikan der «Wunsch, zu einer vollkommenen Gemeinschaft zu gelangen».
Juli 2007: Benedikt XVI. erlaubt in dem Erlass «Summorum pontificum», dass künftig in allen Bistümern Messen nach dem tridentinischen Ritus von 1962 gefeiert werden dürfen. Er benennt Vorgaben, um diese Feiern in die Einheit der Kirche und die Diözesen einzubinden. Für internationale Kritik sorgt eine damit auch wieder zugelassene Karfreitagsfürbitte, in der für die Bekehrung der Juden zu Christus gebetet wird.
Juni 2008: Zum 20. Jahrestag der Exkommunikation Lefebvres lehnt die Priesterbruderschaft eine Aufforderung des Heiligen Stuhls zur theologischen und kirchenpolitischen Aussöhnung zunächst ab. Sie kommt der Aufforderung Roms nicht nach, eine Fünf-Punkte-Erklärung mit Bedingungen für eine mögliche Wiedereingliederung in die römische Kirche zu unterzeichnen. Allerdings beantwortet sie das Schreiben fristgerecht und fordert zunächst eine Rücknahme der Exkommunikation.
15. Dezember 2008: In einem Schreiben an die Kommission «Ecclesia Dei» bittet Fellay im Namen der vier Bischöfe erneut um die Rücknahme der Exkommunikation. Er sichert die Anerkennung des päpstlichen Primats und die Annahme der Lehren des Papstes zu.
21. Januar 2009: Die Bischofskongregation erlässt ein Dekret, in dem die Exkommunikation der vier von Lefebvre geweihten Bischöfe Bernard Fellay, Alfonso de Gallareta, Bernard Tissier de Mallerais und Richard Williamson aufgehoben wird.
24. Januar 2009: Der Vatikan teilt die Rücknahme der Exkommunikation förmlich mit.
(KNA)

Zu einer Chronik der Ereignisse und Links zum Thema s. „Himmel & Erde“, Beitrag „Traditionalistenstreit: Kirche im Gegenwind“


Hier der ganze Beitrag zum Hören:
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