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Himmel und Erde
Iraker auf der Flucht

VON: CLAUDIA WEISS


10.000, so hieß es schließlich vor Weihnachten, dürfen auf den Kontinent kommen. Monatelanges Gezerre auf europäischer Ebene, Chaos in den Anrainerstaaten, Flüchtlinge, die wieder zurückgeschickt wurden – dahin, wo sie wirklich keine Zukunft haben. Ein Viertel der 10.000 kommt bald nach Deutschland – endlich, nach dem harten Winter, die Kirche hatte gedrängt, die Caritas Eile gefordert. Das Bundesinnenministerium rechnet in den kommenden Wochen mit der Ankunft der ersten Flüchtlinge aus dem Irak. Mehrere Beamte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind derzeit in Syrien und Jordanien, um in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk die Schutzsuchenden in den Flüchtlingslagern auszuwählen. Jetzt sollen sie im März vom Lager Friedland aus verteilt werden…

INFO: Die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge werden vom Grenzdurchgangslager Friedland auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Nordrhein-Westfalen wird laut Integrationsminister Armin Laschet 540 Flüchtlinge aufnehmen. Um den Menschen die Integration zu erleichtern, würden ihnen Sprach- und Orientierungskurse angeboten, die sie je nach Bundesland noch in Friedland oder an ihrem künftigen Wohnort besuchen könnten. Insgesamt ziele das erstmals in der Bundesrepublik durchgeführte «resettlement»-Programm auf eine dauerhafte Lebensperspektive der Menschen in Deutschland. Dabei geht es nicht nur um verfolgte Christen, sondern entsprechend der Vereinbarung auf EU-Ebene auch um traumatisierte Personen, Folteropfer und alleinstehende Frauen mit Kindern.

Angesichts der dramatischen Lage rufen die Caritas im Ruhrbistum und Caritas international die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich stärker für die Flüchtlinge in der Region zu engagieren. Spenden mit Stichwort „Irak“ werden erbeten auf: Caritasverband für das Bistum Essen, Spendenkonto 14400 bei der Bank im Bistum Essen, BLZ 360 602 95.

Unser Gesprächspartner: Dolmetscher Shairzid Thomas, Petzelsberg 46, 45259 Essen, Tel. 0201 / 1 25 82 04, www.babylon-translation.de/


Iraki auf der Flucht
Vier Millionen Iraker sind derzeit auf der Flucht, im Inland und im Ausland. Das sind fast 20 Prozent der irakischen Bevölkerung. Rund zwei Millionen Iraker haben ihr Land verlassen und leben in anderen Staaten des Nahen Ostens, wie Jordanien, Syrien, Libanon, die Türkei. Etwa 200.000 sind nach Europa gekommen, jeder vierte davon nach Deutschland. Innerhalb Iraks sind mindestens 1,9 Millionen Menschen auf der Flucht. Laut offiziellen Zahlen fliehen jeden Monat 100.000 Iraker. 800.000 Flüchtlinge sollen sich in Syrien sowie 700.000 in Jordanien befinden. Dort bedeuten die irakischen Flüchtlinge eine ungeheure Last. Jordanien, ein Land mit 5,6 Millionen Einwohnern, hat bisher mindestens 750.000 Iraker ins Land gelassen. Syrien nahm sogar 1,2 Millionen Menschen auf, hat mit 18 Millionen Einwohnern aber auch eine wesentlich größere Bevölkerung als Jordanien. Die öffentliche Infrastruktur in Jordanien und Syrien ist durch die große Zahl an Flüchtlingen ausgereizt. Wasser- und Stromversorgung sind längst völlig ausgelastet. Außerdem kommt das soziale Gefüge in beiden Ländern durcheinander. Die Preise steigen – das schafft Unmut in der alteingesessenen Bevölkerung.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker bezeichnete die Vertreibung der Christen aus dem Irak als „gegenwärtig größte Christenverfolgung weltweit“. Vor allem durch Morde und Entführungen sowie gezielte Terroranschläge islamistischer Fanatiker auf Kirchen, Klöster, christliche Schulen und Pfarrhäuser ist nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation bereits ein großer Teil der Christen aus dem Irak vertrieben worden. Vor 20 Jahren gab es im Irak noch etwa 1,4 Millionen Christen. Heute sind es weniger als 600.000. Nach Schätzungen haben inzwischen rund 4,5 Millionen Flüchtlinge den Irak verlassen. Kirchenvertreter verwiesen in der Vergangenheit darauf, Christen und andere religiöse Minderheiten hätten keine Chance, in ihre Heimat zurückzukehren und würden zum Teil bis in die Aufnahmeländer verfolgt.

2008 verlangte das Europaparlament in Straßburg, 25.000 irakische Flüchtlinge durch Wiederansiedlungsprogramme in der EU aufzunehmen sowie weitere Flüchtlinge durch individuelle Asylanträge. Die Wiederansiedlungsprogramme sollten mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk abgesprochen werden. Die katholische EU-Bischofskommission COMECE hatte wiederholt die EU aufgerufen, 60.000 am stärksten bedrohte Angehörige von Minderheiten in der EU aufzunehmen. Zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zählten vor allem die Christen, erklärten die Bischöfe. Die slowenische EU-Präsidentschaft hatte darauf verwiesen, die Entscheidung über die Aufnahme von Flüchtlingen liege bei den einzelnen EU-Staaten.

Christen im Irak

Die chaldäische Kirche, der etwa 700.000 Christen im Irak angehören, geht auf die ersten christlichen Gemeinden in Mesopotamien zurück. Sie sind unter den rund 22 Millionen muslimischen Irakern (97 Prozent der Bevölkerung) nach den Zahlen die stärkste christliche Kirche im Irak. Oberhaupt der chaldäischen Christen ist der Patriarch von Bagdad. Über viele Jahrhunderte im Vorderen Orient von Rom abgeschnitten, haben sich die Gemeinden im 16. Jahrhundert der römisch-katholischen Kirche wieder angeschlossen. Die Chaldäische Kirche gehört seit 1553 zu Rom, erkennt also den Papst als Oberhaupt der Kirche an und ist damit eine der „unierten“ christlichen Kirchen. Bis heute haben sich die Chaldäer einige Besonderheiten gegenüber Rom bewahrt: Einige Elemente des chaldäischen Ritus gehen auf das dritte Jahrhundert zurück und bildete sich im beginnenden vierten Jahrhundert in Mesopotamien, dem heutigen Syrien, im Irak und dem Südwesten der Türkei aus. Die liturgische Sprache der Chaldäer ist das Aramäische, die vermutliche Muttersprache Christi, eine semitische Sprache, die mit dem Hebräischen verwandt ist. Auch werden noch heute Verheiratete zu Priestern geweiht; nach einer Weihe zum Priester dürfen jedoch Unverheiratete keine Ehe mehr eingehen. Es gibt im Irak auch noch andere christliche Kirchen, so unter anderem die mit Rom nicht in Gemeinschaft stehende Gemeinschaft der Assyrer.

Todesdrohungen gegen Angehörige der christlichen Minderheit des Irak, der Assyro-Chaldäer, sind an der Tagesordnung, islamische Geistliche fordern sie sogar öffentlich zum Verlassen des Landes auf. Dies geht auch aus einem 2007 veröffentlichten Bericht der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) hervor. Fast täglich fordern danach Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate viele Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung. Gerade Christen seien nirgendwo mehr sicher – weder auf dem Weg zur Arbeit oder in die Schule noch in ihren Wohnungen oder Läden. Angegriffen wird, wer für ausländische Hilfswerke und Firmen arbeitet, mit DVDs handelt oder alkoholische Getränke verkauft. Hunderte Christen wurden bislang entführt, Frauen vergewaltigt, Menschen bestialisch ermordet. Auf 30 Kirchen aller Konfessionen wurden Bombenanschläge verübt. Die fast 2000-jährige Geschichte der Christen auf dem Gebiet des heutigen Irak, so das Dossier, stehe vor dem Ende. Sie würden zwischen den Fronten verfeindeter islamischer Gruppen aufgerieben. Um dem Terror zu entkommen, bleibe den Assyro-Chaldäern nur die Flucht. Dreiviertel der früher rund 650.000 Christen des Irak wurden bislang aus ihrer Heimat vertrieben. Geblieben sind nur diejenigen, die alt, krank oder schwach sind, kein Auto und oder kein Geld für die Flucht haben. Der Bericht lasse die Aussage zu, dass die christliche Minderheit im Irak systematischem Terror ausgesetzt ist und Schutz, Unterstützung und die Aufnahme von Flüchtlingskontingenten außerhalb des Nahen Ostens dringend erforderlich ist, unterstreicht die Menschenrechtsorganisation. Die GfbV fordert u.a., dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den hier lebenden christlichen Flüchtlingen aus dem Irak weiterhin Schutz gewährt und Widerrufsverfahren gegen sie einstellt, und dass die Flüchtlinge in Syrien, Jordanien und im Nordirak politisch und humanitär unterstützt werden.

Mehr: „Die größte Christenverfolgung der Gegenwart. Exodus der Assyro-Chaldäer aus dem Irak“, Menschenrechtsreport Nr. 47 der Gesellschaft für bedrohte Völker, Juni 2007, zum Download unter www.gfbv.de/reedit/openObjects/openObjects/show_file.php


Die chaldäische Gemeinde in Essen
Fünf Jahre lang waren die größte Gemeinde chaldäischer Christen in NRW mit rund 250 Familien bei Franziskanerpater Christoph Höttges in der Kirche Heilig Kreuz an der Franziskanerstraße zu Gast. Sie feierten dort ihre Gottesdienst und gestalteten ihre Gemeindearbeit. Seit Februar 2007 verfügen sie über ein eigenes Gemeindezentrum in der ehemaligen Katholischen Gemeindekirche St. Albertus Magnus an der Bonnekampstraße in Essen-Katernberg. Der dort über das Bistum Essen tätige Pfarrer Dr. Danka ist auch zuständig für die Mönchengladbacher Gemeinde im Bistum Aachen. Für die Chaldäer stark eingesetzt hatte sich das Bistum Essen, das seit der Amtszeit von Altbischof Dr. Hubert Luthe Beziehungen zum Chaldäischen Patriarchat in Bagdad unterhält. Schwerpunkt der Chaldäer in Deutschland sind München mit rund 1000 Familien und Stuttgart mit 450 Familien.
Kontakt: Pfr. Dr. Sami Abdelahad Danka, Bonnekampstr. 49, 45327 Essen, Tel. 0201 / 54 55 637, und Saman Adem, Chaldäische Gemeinde in Essen, Internet: www.AddaiMari.de.tl.

 


Hier der ganze Beitrag zum Hören:
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