HOMESitemapImpressum

Home > Augenblick mal  
Augenblick mal
Bruno der Kartäuser

VON: CLAUDIA WEISS



Für Auswärtige ist die Sache klar: Die größte Kirche im ganzen Land haben sie nicht mal selbst zu Ende gebaut – das waren mehr oder weniger die Preußen, aber sie machen sicher die größten Parties im ganzen Jahr. Wenn es um Stimmungslieder geht, spielt man selbst in den Alpen ihre Platten rauf und runter. Und im Vergleich mit dem bedächtigen Westfalen haben sie jeden Morgen Buchstabensuppe gefrühstückt. Doch sie können auch anders: Bruno von Köln gründete im 11. Jahrhundert den Orden der Kartäuser - ein Rheinländer, der sich zum ewigen Schweigen verpflichtet: Dr. Manfred Lütz, Psychiater und Theologe, zu den Aufgaben der Kartäuser im Dienste der Humanität …

INFO: Bruno, geboren um 1035 in Köln, entstammte einer niederrheinischen Adelsfamilie, studierte in Köln und in Reims, wo er einen Lehrauftrag erhielt und 1057 zum Leiter der Domschule ernannt wurde. 1082 zog er sich in ein einsames Gebiet nahe bei Molesme zurück, wo Robert gerade seinen Zisterzienserorden gegründet hatte. 1084 ging er mit sechs Begleitern in die „Cartusia" genannte Wildnis bei Grenoble, gründete ein kleines Bethaus mit sechs einzelnen Zellen; absolutes Schweigegebot, Verständigung nur durch Zeichen und Zusammenkunft nur zur nächtlichen Stunde mit Gregorianischen Chorälen und zur Messe bildeten die Regel in der neuen Einsiedelei, die später „La Grande Chartreuse" genannt wurde. Angeregt von den „Wüstenvätern" in der Tradition von Antonius und von Hieronymus sowie von Benedikt von Nursia, teilte Bruno den Tageslauf in Gebet und Arbeit ein - echter Handarbeit wie auch geistiger Arbeit, worunter besonders das Abschreiben von Büchern verstanden wurde. 1084 entstand daraus der Kartäuserorden. Bruno starb am 6. Oktober 1101 im Kloster Santa Maria dell'Eremo im Tal La Torre beim heutigen Serra San Bruno in Italien. Er wurde nie formell heilig gesprochen, die Verehrung wurde aber 1514 von Papst Leo X. für den Orden und 1622 von Papst Gregor XV. für die ganze Kirche anerkannt. Erst durch Papst Clemens X. erhielt das Fest 1674 allgemeine Verbindlichkeit.

Wahlspruch der Kartäuser (lat. Ordo Cartusiensis, kurz: OCart) ist „Stat crux dum volvitur orbis" (Das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht). 1170 wurde die Gemeinschaft von Papst Alexander III. als Orden anerkannt. Trotz der strengen Lebenspraxis breitete sich der Orden anfangs rasch aus. So gab es im 12. Jahrhundert 36 Kartausen, im 13. Jahrhundert 69, im 14. Jahrhundert 175 und im 15. Jahrhundert 220. Seit dem 16. Jahrhundert fällt die Zahl der Kartäusermönche kontinuierlich bis heute. Zur Zeit zählen die Kartäuser 19 Männerklöster mit etwa 400 Mönchen und 5 Frauenklöster mit etwa 75 Nonnen in Europa, Amerika und Asien. Im deutschsprachigen Raum gibt es ein Männerkloster der Kartäuser, die Kartause Marienau, in Bad Wurzach, Baden-Württemberg. Sie wird seit 1964 von Mönchen bewohnt. Gegründet wurde sie als Ersatz der 1869 in Maria Hain in Düsseldorf-Unterrath errichteten Kartause, da sich die Kartäuser wegen der sich ausdehnenden Großstadt von dort zurückziehen mussten.

Die Kartäuser unterscheiden drei Arten von Mönchen: Priestermönch (lat. Patres), Brüdermönche und Donaten. Die Ausbildung zum Pater dauert mindestens sieben Jahre. Wer als Pater in den Orden eintreten will, muss mindestens 20 Jahre alt sein und einen Schulabschluss haben, der zum Hochschulstudium berechtigt. Das Noviziat dauert zwei Jahre. Nach dessen Beendigung muss sich der Kandidat wieder entscheiden, ob er den Weg im Orden weiter gehen will und die Patres stimmen erneut über sein Bleiben ab. Bleibt der Mönch im Orden, legt er für drei Jahre die Ordensgelübde ab (Profess). Diese Gelübde werden dann für weitere zwei Jahre erneuert. Wenn sich danach Orden und Mönch für einander entscheiden, legt der Mönch die feierliche Profess ab und bindet sich damit lebenslang an den Orden. Nach Entscheidung des Priors wird dem Mönch zuerst die Diakonenweihe und frühestens sechs Monate danach die Priesterweihe gespendet.

Hauptsächlich die Brüder sorgen durch ihre handwerklichen Tätigkeiten für den Unterhalt der Kartausen. Berühmt sind die Kartäuser für ihre Tier- und Pflanzenzucht (Kartäuserpferde, Kartäuserrosen, Kartäusernelken). Haupteinnahmequelle des Ordens ist der bekannte Kartäuserlikör Chartreuse, der in einer eigenen Fabrik in Voiron (nahe der Großen Kartause) aus einer Mischung von 130 Kräutern hergestellt und von dort in alle Welt verkauft wird. Seit 1145 gibt es auch Kartäuserinnen. Auch bei den Nonnen gibt drei Arten von Klostermitgliedern: Chornonnen, Konversschwestern und Donatinnen. Die einzelnen Kartausen werden von einem Prior geleitet, der von den Mönchen des jeweiligen Hauses auf zwei Jahre gewählt wird. Grundlage der Spiritualität der Kartäuser ist ein Leben in der Erwartung der Wiederkunft Christi. Zurückgezogen in der Einsamkeit sorgen sie sich nur, Christus zu gefallen und ein Leben nach dem Evangelium in der Nachfolge Christi zu führen. Charakteristisch für die Kartäuser ist ihr Schweigen, ihre Einsamkeit und ihr Gebet. Sie haben keinen direkten Zugang zu Massenmedien. Nur der Prior liest täglich die Zeitung und informiert die Mönche über wichtige Ereignisse. Besucher sind nicht zugelassen, außer Angehörigen der Kommunitätsmitglieder. Die Kartäuser sind Vegetarier. Strikte Fastenzeiten bestimmen ihr Leben, so wird beispielsweise jeden Freitag bei Wasser und Brot gefastet. Frühstück gibt es traditionell bei den Kartäusern nicht. Alle Kartausen sind Maria, der Mater Singularis Cartusensium, der einzigartigen Mutter der Kartäuser, geweiht, die oberste Patronin des Ordens ist und einen besonderen Platz in der Spiritualität der Kartäuser einnimmt. Zweiter Ordenspatron ist der Hl. Johannes der Täufer.

Bis heute wurden insgesamt 273 Kartausen gegründet. Durch Reformation, Religionskriege und Türkeneinfall gingen viele Kartausen verloren; Kaiser Joseph II. hob Ende des 18. Jahrhunderts im Namen der Aufklärung Dutzende weitere Häuser auf. Den größten Einschnitt stellten die Französische Revolution und die Säkularisation dar, der die meisten verbliebenen Kartäuserkloster, darunter alle 18 deutschen, zum Opfer fielen. Erst das 19. Jahrhundert brachte einen neuen Aufschwung. Heute gibt es weltweit 24 Kartausen - 19 Männer- und 5 Frauenklöster mit derzeit knapp 450 Mitgliedern. Die einzige Kartause Deutschlands ist das 1964 gegründete Marienau in Süddeutschland mit 17 Priester- und 19 Brudermönchen.

Literatur:
Hogg, James / Schlegel, Gerhard (Hrsgg.): Monasticon Cartusiense Band 3 (Analecta Cartusiana 185.3), Universität Salzburg, Salzburg 2005, XXX+630 Seiten mit Karte, brosch., 40 Euro.
Mönche der Kartause Marienau (Hrsg.): Kartause Marienau. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2004 ISBN 3-89870-184-0.

Weitere Informationen im Internet unter http://www.chartreux.org. Informationen zum Kartäuserlikör (deutsch): www.chartreuse.de, Webseite der Kartause Ittingen (Schweiz): www.kartause.ch - Video zum Buch: www.youtube.com/watch

Unser Gesprächspartner: Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz, geboren 1954, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Nervenarzt und Theologe, studierte Humanmedizin, Philosophie und katholische Theologie in Bonn und Rom. 1981 gründete er die integrative Jugendgruppe „Brücke-Krücke" behinderter und nichtbehinderter Jugendlicher in Bonn. 1989 wurde er Oberarzt der psychiatrischen Abteilung am Marienhospital in Euskirchen und zugleich Leitender Arzt der Klinik Sankt Martin in Euskirchen-Stotzheim, einer Fachklinik für alkohol- und medikamentenabhängige Männer. Seit 1997 ist er Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie mit Versorgungsverpflichtung für den Kölner Süden. Er ist ausgebildet unter anderem in systemisch-lösungsorientierter, verhaltenstherapeutischer und psychoanalytischer Psychotherapie. Im Jahre 2003 rief er das Alexianer-Therapie-Forum ins Leben und organisierte im gleichen Jahr einen Kongress zum Thema „Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester und Ordensleute" im Vatikan. Bekannt wurde er durch verschiedene Bestseller, darunter „Lebenslust – Wider die Diätsadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult" (2002) und „Gott – Eine kleine Geschichte des Größten" (2007), wofür er den internationalen Corine-Buchpreis 2008 erhielt. Umfangreiche Vortrags- und Publikationstätigkeit, seit 2006 vereinzelte Kabarettauftritte. Dr. Lütz ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Buchhinweis: Manfred Lütz, Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen. 185 S., EUR 17,95. ISBN 978-3-579-06879-4.

 


Hier der ganze Beitrag zum Hören:
am1006_01.wma



Seite drucken...